19

 

Ich verbrachte die nächsten beiden Stunden mit meinen Runen. Wenn ich von Zeit zu Zeit aufblickte, entdeckte ich unweigerlich entweder Raphael oder Christian, wie sie mich beobachteten. Ich ignorierte beide, genau wie die zwei Männer, die Christian zu beiden Seiten des Gangs zwischen den Ständen postiert hatte. Es gab einfach keine Worte, die meiner Empörung hinsichtlich überängstlicher, verbohrter, herrschsüchtiger Männer in angemessener Weise hätten Ausdruck verleihen können. Einzeln wäre ich mit ihnen fertig geworden, aber da sie nun zusammenarbeiteten, war es fast unmöglich, sie zu besiegen.

Fast.

„Bist du jetzt hier fertig?“, erkundigte sich Raphael, als ich die Steine wegräumte.

Ich wollte ihm einen wütenden Blick zuwerfen, als ich merkte, dass er mich mit einem sehr seltsamen Gesichtsausdruck ansah.

„Was ist? Stimmt irgendwas nicht?“

Er seufzte und wartete, bis ich meine Sachen weggeräumt hatte, dann nahm er mich bei der Hand und führte mich auf eine Rasenfläche zu.

„Ja, es ist leider etwas passiert, etwas wirklich Schlimmes, und unglücklicherweise bleibt mir nichts anderes übrig ...“, ich hatte plötzlich eine Vorahnung, was er gleich sagen würde, „... als dich um Hilfe zu bitten.“

„Ja“, erwiderte ich auf der Stelle, drückte seine Hand und konnte mich nur mit Mühe bremsen, auf und ab zu hüpfen, angesichts des warmen Glücksgefühls, das mich erfüllte.

Er brauchte mich! Er wollte meine Hilfe! Endlich, endlich erkannte er die Tatsache an, dass ich einzig und allein zu dem Zweck auf der Welt war, um ihm in der Stunde seiner größten Not zur Seite zu stehen.

„Du weißt doch noch nicht mal, was du für mich tun sollst“, entgegnete er.

Hinter dem Stand für die Aurafotografie blieben wir stehen. Seine wunderschönen Augen blickten ernst drein.

„Ganz egal, was, ich mach's.“

„Es ist gefährlich ...“ Er fuhr sich mit der Hand durch seine Locken, dann schüttelte er den Kopf.

„Was zum Teufel mache ich hier eigentlich? Es ist viel zu gefährlich für dich. Ich kann nicht von dir verlangen, dich einer solchen Gefahr auszusetzen.“

„Oh doch, du kannst, Raphael. Ich vertraue dir. Ich weiß, dass du auf mich aufpasst, ganz egal, was ich tun muss.“

Er starrte mich einen Augenblick lang an, dann nahm er mein Gesicht in seine Hände. „Baby, ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg, aber ...“

„Ich mach's. Ich helfe dir gerne, ehrlich.“

„Wir haben keine Zeit mehr, um uns einen neuen Plan auszudenken ...“

„Ich mache es, Raphael, ich mache es! Hörst du mich? Ich mache es!“

„... und Bartos hält dich für den Schlüssel ... ich weiß natürlich, dass er recht hat, aber trotzdem ...“

„Ich werde ein richtig guter Schlüssel sein“, versprach ich. „Ich werde der allerbeste Schlüssel sein, den es jemals gab. Lass mich dir helfen, bitte!“

Er sah mir direkt in die Augen. Auf seinem Gesicht mischte sich Unentschlossenheit mit Bedauern und Liebe. Er küsste mich, hart und schnell, und noch bevor ich den Kuss erwidern konnte, war sein Mund schon wieder fort. „Ich brauche dich, um Tanyas Mörder eine Falle zu stellen.“

Bei seinen Worten wurden mir doch ein wenig die Knie weich.

 „Alles, Bob, ich mache wirklich alles, was du von mir verlangst. Ahm ... dabei sind doch keine Schusswaffen im Spiel, oder? Weil ich die nämlich nicht mag und ich weiß auch gar nicht, wie man damit umgeht.“

Wir gingen zurück zu der großen Rasenfläche, auf der die Hauptbühne stand.

„Keine Waffen. Aber du musst alles machen, was ich sage, ganz genau so, wie ich es dir sage.“

Ich salutierte. „Aye aye, mon capitaine.“

„Ich meine es ernst, Joy! Wenn du irgendetwas tust, ganz egal was, das ich dir nicht aufgetragen habe, bist du draußen. Hast du verstanden?“

„Ich bin deine Frau“, versicherte ich ihm. „Ich werde nicht mal atmen ohne deine ausdrückliche Erlaubnis.“

Er seufzte noch einmal und nickte Bartos zu, als wir an ihm vorbeikamen.

„Das gefällt mir gar nicht, aber ... zum Teufel. Paal und Christians Männer werden bei dir bleiben, bis die Zeit gekommen ist, dich zu den Höhlen zu bringen.“

Bei diesem Gedanken durchrieselte mich ein Gefühl der Aufregung. War das nicht unglaublich? Ich war in einen verwegenen Spion verliebt, der meine Hilfe brauchte, um einen Mörder zu fassen. Besser konnte es doch wohl gar nicht mehr werden!

Aber es wurde noch besser. Raphael blieb neben der Bühne stehen, sein Daumen strich zärtlich über mein Handgelenk. Ich lächelte in mich hinein.

Jetzt würde er mir alles erzählen, jetzt würde er mir gegenüber seine Seele entblößen, mich voll und ganz ins Vertrauen ziehen und mir ohne jeden Zweifel beweisen, dass er mir sogar sein Leben anvertrauen würde.

„Paal wird dich nach der Show zu mir bringen“, sagte Raphael, bevor er sich umdrehte, um ein paar Worte mit Henri zu wechseln. Dann ging er einfach davon - er ließ mich zurück, ohne mir noch einen einzigen Blick zuzuwerfen.

So viel zum Thema Vertrauen.

Als ich es endlich satt hatte, Raphaels entschwindender Gestalt böse Blicke nachzuschicken, hatten sich schon zahlreiche Menschen versammelt und sich vor der Bühne niedergelassen. Die Bühne selbst bestand lediglich aus einem niedrigen Aufbau von ungefähr zwei Metern Höhe, umringt von großen schwarzen Lautsprechern, die später von den Bands benutzt werden würden.

Hinter der Bühne stand eine Art Gerüst aus Metall, das mit Stoffbahnen verhüllt war. Roxy hatte mir erzählt, dass sie sich bei Dominics Zaubershow richtig gut amüsiert hatte und dass er überraschend professionell sei, viel besser als diese vorgetäuschte Vampirnummer, die er sonst immer abzog. Da ich die beiden Wachhunde, die an mir klebten wie Kletten, nicht abschütteln konnte und weil ich Roxy unbedingt die letzten Neuigkeiten erzählen wollte, suchte ich das Publikum ab, bis ich sie entdeckte und ihr zu dem Platz in der Nähe der Bühne folgte, den sie vorhin schon für uns reserviert hatte.

Ich erzählte ihr im Flüsterton von dem Plan und verbrachte anschließend ein paar Minuten damit, meine Gefühle für Raphael noch ein- oder zweimal vor ihr auszubreiten, bis es Roxy schließlich reichte.

„Sei jetzt still! Dominic hat einen richtig coolen Trick drauf. Er steigt in einen Kasten aus Glas, der sich dann mit Rauch füllt, und wenn der Rauch wieder verschwunden ist, ist er weg. Dann ziehen sie diese ganze Rauchnummer noch mal ab und voila!

Er taucht wieder auf. Das ist echt klasse. Ich habe keine Ahnung, wie er das macht, denn der Kasten ist ja schließlich aus Glas und sie drehen ihn auch um, damit man ihn von allen Seiten sehen kann.“

„Hm!“ Ich saß mit verschränkten Armen da und schmollte vor mich hin. Viel lieber wollte ich über Raphael reden, als irgend so einen blöden Zaubertrick sehen.

„Ich frage mich bloß, ob er noch mal dasselbe vorführt wie gestern Abend.“

„Was denn?“, fragte ich und spielte mit der Brosche, die mir Christian geliehen hatte.

„Dominic ist in den Kasten gestiegen und dann ist Milos wieder rausgekommen. Ich wusste gar nicht, dass Milos auch Magier ist, aber er hat danach noch ein paar richtig tolle Sachen vorgeführt. Du solltest mal sehen, was er alles mit drei Eiern anstellen kann ... „

Ein paar Arbeiter rollten gerade einen großen Glaskasten auf die Bühne. Dominic erzählte irgendeine Geschichte über die Kräfte, die er angeblich während seines Studiums der dunklen Künste erworben hatte.

Ich drehte mich zu Roxy um, verwirrt über das, was sie gerade erzählt hatte.

„Was meinst du damit, Milos ist auch ein Magier? Er war zusammen mit Dominic auf der Bühne? Das kann gar nicht sein. Raphael sagte, dass Tanya ganz kurz bevor er sie entdeckt hatte, getötet worden sei. Ihr Körper war noch warm. Ich weiß das, weil ich sie selbst berührt habe.“

„Da kann ich dir nicht so ganz folgen“, sagte Roxy, deren ganze Aufmerksamkeit nach wie vor Dominic gewidmet war, der gerade den Trick erklärte, der jetzt folgen würde.

„Wie steht's denn damit: Wenn Milos auf der Bühne war und einen Zaubertrick vorführte, dann kann er Tanya nicht ermordet haben.“

Langsam wandte sie mir den Kopf zu und sah mich an. „Aber wenn er es nicht war, wer dann?“

Eine Gänsehautwelle rollte meine Arme hinunter und gleich wieder hinauf, als ich meinen Blick auf die Bühne richtete. „Das kann nicht sein ...“

„Oh mein Gott“, hauchte Roxy mit weit aufgerissenen Augen.

Ich sah Dominic regungslos dabei zu, wie er über die Bühne stolzierte: groß und elegant, ganz in Schwarz mit einem roten Rüschenhemd. Er ließ seine Fangzähne aufblitzen und spielte vor dem Publikum wieder seine Paraderolle als Vampir. Er war ein Profi auf der Bühne und die Leute fraßen ihm förmlich aus der Hand. Er machte Witze und spielte mit ihnen, bis sie ihm lautstark zujubelten.

„Du meine Güte, dann muss er es sein. Ich bin immer davon ausgegangen, dass er nur einen Witz macht, wenn er darauf besteht, ein Vampir zu sein.

Ich meine, das ist ja auch echt zu albern, mit diesen falschen Zähnen und so. Aber was, wenn er daran glaubt? Was, wenn er selbst tatsächlich davon überzeugt ist, ein Vampir zu sein?“

Mich überlief ein Schauer. Ich raffte meinen Rock und stand auf, gerade als die Zuschauer über irgendwas zu jubeln begannen, das Dominic gesagt hatte.

„Das muss ich sofort Raphael erzählen. Er glaubt, dass Milos der Mörder ist.

Ich wette, er weiß gar nicht, dass Milos gestern Abend auf der Bühne stand.“

Roxy zerrte an meinem Rock und versuchte mich dazu zu bewegen, mich wieder hinzusetzen. „Joy ...“

„Da haben wir ja die perfekte Freiwillige!“, rief Dominic von der Bühne aus.

Dann machte er einen Satz hinunter ins Publikum und kam mit ausgestreckter Hand direkt auf mich zu. „Mon ange, wenn du mir freundlicherweise assistieren würdest?“

„Was?“

„Er hat gerade um Freiwillige gebeten, du Dummerchen. Zu spät, jetzt bist du geliefert“, murmelte Roxy.

„Was? Was?“ Ich starrte verdattert auf die Hand, die Dominic nach mir ausgestreckt hatte. Ich wollte ihn nicht berühren - er war ein Mörder! Das Publikum begann zu applaudieren.

„Komm, mon ange“, sagte Dominic und ließ mit einem breiten Grinsen sämtliche Fangzähne aufblitzen. „Sei meine Assistentin. Es wird nicht lange dauern, das versichere ich dir.“

Ich fragte mich, ob er zu Tanya wohl dasselbe gesagt hatte. Dominic packte meine Hand und zog mich durch die Zuschauer zurück zur Bühne. Ich erwog kurz, ihn an Ort und Stelle des Mordes an Tanya zu beschuldigen, um Hilfe zu schreien oder ihn so lange zu treten, bis er mich losließ, damit ich zu Raphael flüchten konnte. Doch am Ende beschloss ich, dass es besser wäre, ihn in Sicherheit zu wiegen, also leistete ich keinen Widerstand, als er mich auf die Bühne und zu dem Glaskasten hinzerrte.

Er ließ meine Hand nicht einen Augenblick lang los, während er mir in den Kasten hineinhalf. Währenddessen erzählte er wieder die ganze Zeit von seinen Kräften und dass er mich in die Unterwelt schicken würde, wo ich auf seinen Befehl zur Rückkehr warten sollte. Es war schon ziemlich gruselig, wenn man an Tanya dachte. Als er sich dann umdrehte, um den Deckel des Kastens zu schließen, zischte er mir zu: „Fürchte dich nicht, mon ange. Sobald der Rauch die äußere Hülle erfüllt, wird sich die Falltür öffnen und du wirst entkommen. Krieche unter der Bühne bis nach hinten durch. Dort wird Antonio auf dich warten.“

„Kriechen? Ich soll kriechen?“, fragte ich, als er den Deckel schloss. Panik stieg in mir auf bei dem Gedanken, in einer Box voller Rauch eingesperrt zu sein. Ich hockte also in diesem Kasten, mein Kopf stieß gegen die obere Wand, die Lichter und die Menschen waren durch das dicke Glas hindurch nur verschwommen sichtbar. Dominic wedelte dramatisch mit den Armen und der Kasten begann sich mit Rauch zu füllen und mir die Sicht zu nehmen.

Erst da wurde mir klar, worüber er eben geredet hatte. Der Teil, in dem ich mich befand, war isoliert - ein Kasten im Kasten, mit doppelter Verglasung.

Der Rauch füllte nur den schmalen Raum zwischen den beiden Glasscheiben, wodurch es zweifellos von außen so wirkte, als ob ich inmitten des Rauchs säße, was allerdings in Wahrheit keineswegs der Fall war. Sobald ich außerhalb des Kastens nichts mehr erkennen konnte, gab der Boden unter meinen Knien nach und ich plumpste in den freien Raum unter der Bühne. Da die Bühnenränder verkleidet waren, konnte mich dort niemand sehen, aber ich konnte das Publikum hören. Sie lachten laut über irgendetwas, was Dominic gerade tat. Ohne jeden Zweifel lenkte er ihre Aufmerksamkeit von der Box ab, damit sie nicht bemerkten, wie er bei meinem Ausstieg schwankte.

Ich raffte meinen Rock zusammen und kroch auf dem Bauch weiter, als ich hinten ein Licht aufblitzen sah. Ich schimpfte darüber, dass ich mir meinen wunderschönen Rock ruiniert hatte, nur damit Dominic sein Publikum beeindrucken konnte.

Antonio, Dominics Assistent, half mir aus dem engen Raum unter der Bühne wieder heraus, und zwar durch eine weitere Klappe hinter dem Vorhang.

Antonio zog dann eine Furcht einflößende Gummimaske an und sagte:

„Bleiben Sie hier, bis Sie Dominic verkünden hören, dass er an Ihrer Stelle einen Dämon aus der Unterwelt heraufbeschworen hat. Dann können Sie wieder zurück ins Publikum.“ Er kroch unter die Bühne und machte sich auf den Weg zum Glaskasten.

„Das glaubst aber auch nur du“, murmelte ich. Ich warf vorsichtig einen Blick hinter den Vorhang.

Meine beiden Wachhunde schienen immer noch geduldig vor der Bühne auf meine Rückkehr zu warten, denn hinten war weit und breit niemand zu sehen. Also schlüpfte ich hinaus und begab mich auf die Suche nach Raphael, wobei ich um die Leute bei der Bühne einen großen Bogen machte.

Am anderen Ende des Geländes erblickte ich Henri, der sich gerade beim Verlassen eines der Toilettenhäuschen den Reißverschluss hochzog.

„Henri, wo ist Raphael?“, fragte ich, als ich ihn im Laufschritt erreicht hatte.

Er runzelte die Stirn. „Solltest du nicht bei der Show sein? Ich dachte, Raphael hätte gesagt, dass du dort bist. Sie ist doch noch nicht vorbei, oder?“

Ich war nahe daran, vor lauter Ungeduld auf und ab zu hüpfen. „Vergiss die Show. Ich muss Raphael finden. Es ist wirklich wichtig. Also, wo ist er?“

„Das wird ihm aber gar nicht gefallen, dass du nicht bei der Show bist“, erklärte Henri.

„Das wird es schon, wenn er hört, was ich ihm mitzuteilen habe. Wo kann ich ihn finden?“

„Er hat gesagt, du sollst bei Paal bleiben. Raphael wird nicht sehr erfreut sein, dass du ohne Paal weggegangen bist.“

Hundewelpe hin oder her, ich hätte ihn am liebsten erwürgt. „Henri“, sagte ich mit einem Lächeln, das einem Hai jede Ehre gemacht hätte, „weißt du noch, was ich mit Christian im westlichen Garten gemacht habe?“

Seine Hand legte sich schützend vor seine Leistengegend, als er heftig zu nicken begann.

„Gut. Ich tu das wirklich nicht gerne, aber wenn du mir nicht auf der Stelle sagst, wo Raphael ist, dann mache ich mit dir genau dasselbe.“

Er riss die Augen weit auf. „Er ist unten in der Höhle“, antwortete er rasch mit belegter Stimme.

„In der Höhle? Jetzt schon? Danke, Henri. Wünsch mir Glück.“

Ich raste davon wie ein Jagdhund, der einem Hasen auf der Spur ist, wich immer wieder Leuten aus, als ich mich vom Festivalgelände entfernte und über den Kiesweg rannte, der in Kurven und Windungen bis auf den Boden des Abgrunds führte, wo sich der Eingang zur Höhle befand. Da die Höhlen nur für ein paar Stunden gegen Mitternacht geöffnet sein sollten, waren hier nicht sehr viele Menschen unterwegs, und die meisten von ihnen waren Paare, die dorthin gekommen waren, um in Ruhe zu knutschen.

Ich rannte den Weg entlang auf den kühlen, dunklen Höhleneingang zu, wo das gelbe Licht von Natriumdampflampen die Dunkelheit der Höhle ein wenig erhellte. Am Eingang selbst stand niemand, aber ich konnte von drinnen Stimmen hören. Einen Moment lang lauschte ich. Eine der Stimmen schien Raphael zu gehören, aber abgesehen davon konnte ich nicht erkennen, wer sonst noch redete oder wo genau innerhalb der Höhle sie sich befanden.

Dort drinnen waren Stimmen über sehr weite Entfernungen zu hören. Ich betrat die Höhle und eilte tiefer hinein, ohne auf die Sehenswürdigkeiten zu achten, oder die Schilder, die diese erklärten.

„Gott sei Dank war ich schon mal hier“, sagte ich zu mir selbst, als ich an einer Abzweigung stehen blieb.

Der Rundgang führte um eine Biegung nach links zu einer kleinen Bootsanlegestelle. Auf der rechten Seite befand sich ein ungepflasterter Pfad, der einem Schild zufolge zu einem Wartungsbereich führte.

Ich hielt die Luft an und lauschte. Das tiefe Grummeln von Raphaels Stimme kam von rechts. Also bog ich auf diesen Pfad ab, blieb kurz stehen und rannte los, als ich hörte, wie ihm eine Frauenstimme antwortete.

Der Pfad war nur spärlich beleuchtet und die Entfernung zwischen den einzelnen Lampen ziemlich groß. Ich stolperte ein paarmal über Schutt und Felsbrocken, aber ich konnte es vermeiden hinzufallen. Als ich dann eine weitere Biegung umrundete, wäre ich um ein Haar in Raphael hineingerannt.

„Was zum Teufel ist hier los?“, schrie ich und starrte ihn entsetzt an.

Er stand ganz dicht bei einer Frau, sein Mund beinahe in ihrem Haar vergraben, während seine widerlichen, stinkenden, betrügerischen Hände sich unter ihrem Pullover bewegten.

„Du Bastard!“, kreischte ich so laut, dass meine Worte schier endlos durch die Höhle hallten. Bei meinem Geschrei fuhren ihre Köpfe herum, beide Gesichter zeigten fast identische Mienen der Überraschung. Die Frau war ungefähr fünfzehn Zentimeter kleiner als ich, zierlich und hatte ein hübsches, herzförmiges Gesicht, das von langem, lockigem Haar eingerahmt war, das ich ihr am liebsten ausgerissen und mit den Füßen in die Erde gestampft hätte.

Raphael besaß auch noch die Frechheit, verärgert auszusehen. „Joy! Was machst du denn hier?“

„Oh!“, heulte ich laut auf. In mir kämpfte Wut gegen den Schmerz angesichts seines Betrugs. Ich holte aus und rammte ihm meine Faust geradewegs in das Tattoo auf seinem Bauch. Er stöhnte und ließ die Schlampe los, um sich den Bauch zu halten. „Du betrügerischer, verlogener Bastard! Ich will dich nie mehr wiedersehen! Nie mehr!“

Ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte den Weg zurück, den ich gekommen war. Da ich vor lauter Tränen kaum etwas sehen konnte, stolperte und strauchelte ich diesmal sogar noch öfter. Doch dann versiegten die Tränen plötzlich, als pure Wut die Oberhand gewann. Wie konnte es Raphael nur wagen, eine andere Frau zu begrabschen? Er gehörte mir, verdammt noch mal, und ich würde ihm das nicht durchgehen lassen. Es wurde Zeit, dass er die eine oder andere Sache begriff. Also machte ich kehrt, um zu ihm zurückzugehen, und lief auf der Stelle wieder in ihn hinein.

„Verdammt, Frau, bleibst du jetzt endlich mal stehen und lässt mich erklären?“ Wenn seine starken Hände mich nicht bei den Armen gepackt hätten, wäre ich hingefallen.

„Wag es ja nicht, mich anzuschreien, du widerlicher Kerl! Du Schuft! Du darfst niemand anders anfassen, hast du mich verstanden?“ Ich kämpfte gegen Raphael, aber ich wusste, dass das sowieso keinen Sinn hatte. Er schob mich gegen die glatte Kalksteinwand der Höhle und drückte seinen Körper gegen meinen, während ich mich dagegen zu wehren versuchte. Meine untere Körperhälfte klemmte er einfach mit seinen Beinen ein und seine Hände schlossen sich um meinen Kopf, sodass ich mich nicht mehr rühren konnte.

„Sie ist Polizistin“, sagte er schwer atmend. „Meine Güte, Baby, musstest du mich unbedingt schlagen?“

„Du bist widerlich“, stieß ich keuchend hervor. „Benutzt deine Stellung, um eine unschuldige Frau zu zerstören. Man sollte dich an den Zehen aufhängen. Und an den Eiern. Beides. Zur selben Zeit!“

„Hör mir mal zu, Joy“, sagte er. Sein Atem umwehte mein Gesicht. Gott steh mir bei, ich war in einen treulosen Bastard verliebt, und selbst nachdem ich ihn auf frischer Tat mit einer anderen Frau erwischt hatte, reichte eine Berührung und ich schmolz dahin. Ich schluchzte auf vor lauter Verzweiflung über den Wankelmut meines Körpers. „Kyra ist Polizistin. Sie ist eine von Bartos' Leuten. Sie soll mir bei einem Job helfen, das ist alles.“

Ich wollte ihm nicht zuhören, wollte keine seiner ungeheuerlichen Lügen hören. „Ich glaube dir nicht“, sagte ich.

„Was habe ich getan, dass du jetzt glaubst, ich sei an einer anderen Frau interessiert?“, fragte er, diesmal etwas ruhiger. Seine Augen brannten vor Verlangen und Liebe.

„Ich ...“ Ich wusste keine Antwort. Jetzt erschien hinter ihm die Frau und zupfte ihren Pullover zurecht. Sie fragte Raphael auf Deutsch, was los wäre.

Schon ihr bloßer Anblick heizte meine Wut erneut an. „Sie ist also Polizistin, was? Du hast sie befummelt! Unter ihrem Pulli. Was für ein Job ist das denn, den sie für dich erledigen soll?“

„Kyra, zeig Joy deinen Rücken.“

„Ich will ihren Rücken aber nicht sehen! Ich steh nicht auf flotte Dreier!“, wehrte ich empört ab. Ich fragte mich, wie ich mich nur so in ihm hatte täuschen können.

Er verdrehte die Augen und wiederholte seine Aufforderung. Die Frau warf mir einen mürrischen Blick zu, drehte sich aber um, und zog dabei ihren Pullover hoch. Über ihren Rücken schlängelte sich ein fleischfarbenes Kabel, das zu einem schmalen, schwarzen Kästchen führte, das ungefähr die Größe einer Kreditkarte hatte. Kabel und Kästchen waren mit weißen Klebestreifen befestigt.

„Sie ist Polizistin“, wiederholte Raphael. „Ich habe sie verkabelt, damit wir alles aufnehmen können, was zu ihr gesagt wird. Ich habe sie nicht befummelt. Sie ist unsere Absicherung, für den Fall, dass unser Verdächtiger den Köder nicht schluckt - nämlich dich.“

Er nahm seine Hände von meinem Kopf und trat beiseite, während Kyra murmelte, sie wolle noch mal kurz mit Inspektor Bartos reden, bevor sie ihren Posten draußen vor der Höhle einnahm.

Raphael sagte, er werde gleich nachkommen, und wandte seinen Blick dann wieder mir zu, einen ziemlich nachdenklichen Blick.

„Irgendwie hatte ich mir immer vorgestellt, dass du mir Schlimmeres antun würdest als nur einen Schlag in den Bauch, wenn du mich jemals beim Fremdgehen erwischen solltest.“

„Ich hatte zufällig gerade kein Kastriermesser dabei.“ Ich starrte ihn finster an. „Aber ich kann dir versichern, wenn ich eins hätte, dann würdest du jetzt Sopran singen. Polizistin, Raphael? Und warum verkabelst du mich nicht? Was genau machst du hier eigentlich?“

„Ich versuche, einen Mörder zu schnappen. Das weißt du doch. Und ich wollte dich verkabeln, bevor wir dich losschicken.“ Er trat an mich heran und ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen.

„Du bist eifersüchtig.“

„Ja, natürlich bin ich eifersüchtig.“ Ich runzelte die Stirn und boxte ihn gegen die Brust. „Du gehörst mir und ich verbiete dir, den Rücken irgendeiner anderen Frau zu berühren. Das sind die Regeln und ich erwarte, dass du sie befolgst.“

„Ach, Baby“, knurrte er mit dieser tiefen, sexy Stimme, die aus meinen Knochen unweigerlich Wackelpudding machte. Genau wie jetzt. Raphael packte mich gerade noch, als meine Beine nachgaben, drückte mich wieder gegen die Wand, seine Hände neben meinem Kopf, und hielt mich gefangen.

„Ich fühle mich geschmeichelt, dass du eifersüchtig bist, aber mittlerweile solltest du wissen, dass keine andere Frau auch nur annähernd an dich herankommt. Du bist alles, was ich will.“ Seine Zähne neckten mein Ohr, sein Atem streifte heiß und feucht meine Haut und setzte damit den wohlbekannten Strudel des Verlangens tief in mir drin in Gang.

Ich fuhr mit meinen Händen unter seine Lederjacke und seinen Pullover, streichelte mit den Fingern über die Muskeln seines Rückens, nahm sein Stöhnen mit meinem Mund auf und erwiderte es mit meinem eigenen Aufstöhnen, als er erbarmungslos meinen Mund eroberte.

„Du machst mich so an.“ Er zog einen Pfad aus feuchten, dampfenden Küssen über meinen Hals. „Wie kannst du nur denken, dass es mir mit einer anderen Frau genauso gehen könnte?“

Er rieb seine Hüften an mir. Er war erregt, sehr erregt. Ich ließ meine Hände nach unten gleiten, um mich zu überzeugen, lächelte, als er wieder stöhnte, lauter diesmal, und sich sein Stöhnen in einem endlosen Echo der Lust wiederholte. Meine Finger beeilten sich, ihn zu befreien, damit ich seine Hitze und sein Verlangen spürte und wusste, das dies alles mein war. Ich schob seinen Slip beiseite und seufzte, als ich ihn fand: heiß und hart, Samt über Stahl. Ich biss ihn in die Zunge und wimmerte, als seine Hände in meinen BH glitten. Ich wollte ihn tief in mir drin spüren, wo sich unser Herzschlag zu einem einzigen wilden Rhythmus der Leidenschaft vereinigen würde.

„Raphael“, rief ich verzweifelt, während ich seine heiße Länge streichelte, halb wahnsinnig von dem überwältigenden Verlangen, das sein Duft und seine Berührungen auslösten, wohl wissend, dass er mich genauso begehrte wie ich ihn.

„Ich weiß, Baby, ich weiß. Wir werden uns beeilen müssen, ich halt's nicht mehr lange aus.“ Er drückte mich gegen die Wand und hüllte mich in seine Hitze ein, als er meine Schenkel packte und sie um seine Hüften schlang. Ich verschränkte meine Füße hinter ihm und küsste ihn wild. Unsere Zähne stießen aneinander, als ich an seinen Lippen und seiner Zunge knabberte, bis er mir gab, was ich wollte, und mir gestattete, seine Zunge in meinen Mund zu saugen. Ich schmeckte Blut, als ich meine Zunge um seine schlang, und stöhnte, weil seine Hände sich einen feurigen Pfad meine Oberschenkel hinauf bahnten.

Ich löste meinen Mund gerade lange genug von seinem, um das Wort „Slip“ auszustoßen, bevor ich einen Blutstropfen ableckte, der aus seiner Lippe quoll.

Seine Finger strichen über den Satin meines Höschens und dann war es mit einem Ruck weg - er hatte mir buchstäblich die Kleider vom Leib gerissen.

„Meine Güte“, flüsterte ich, als ich kurz darauf spürte, wie er in mich eindrang. „Mir hat noch nie jemand die Unterwäsche vom Leib gerissen. Das ist so ... wow“

„Baby, ich kann nicht mehr warten“, keuchte er gegen meinen Hals, als er tief in mir versank.

„Dann warte nicht“, erwiderte ich. Mir war alles egal, bis auf das einzigartige Gefühl von Verschmelzung, das unsere Vereinigung mit sich brachte.

Er legte seine Hände auf meinen Po, sein Atem strich heiß über meinen Nacken und dann nahm er mich mit einem lauten Stöhnen, drang so tief in mich ein, dass es mir den Atem verschlug. Die Höhlenwand in meinem Rücken war kalt, aber er ließ mich dermaßen heiß erglühen, dass es mich wundern würde, wenn ich keine Brandflecken darauf hinterlassen hätte. Er knabberte an meinem Ohr und an meinem Hals, während sich unsere Körper aneinander rieben, den Augenblick der Vollendung sehnsüchtig erwartend, der uns weit über bloßes körperliches Vergnügen hinauskatapultieren würde.

Seine Hüften stießen nach vorne und zogen sich wieder zurück, sein Tempo steigerte sich im selben Maß wie unsere Atmung. Ich ließ meine Finger durch seine Locken gleiten und bog ihm meinen Unterleib entgegen - dem Ziel unseres Rennens so nahe.

„Raphael!“, schrie ich, als er mich in den Hals biss, sein Aufschrei der Ekstase zeitgleich mit meinem, beide nicht voneinander zu unterscheiden - gemeinsam hallten sie nun um uns herum durch den Gang.

Wir blieben lange genauso stehen, unsere Körper immer noch vereint. Sein Herzschlag tief in mir im Einklang mit seinem, unser Atem vermischt, unregelmäßig. Er hielt mich sicher in seinen Armen, immer noch gegen die Wand gepresst.

„Oh, Baby, ich hab dir wehgetan“, sagte er, wobei sich in seiner Stimme Befriedigung mit Sorge mischte. Seine Lippen lagen warm auf meinem Hals, seine Zunge liebkoste mich wie Seide. „Ich habe wohl zu hart zugebissen. Du blutest.“

Ich legte den Kopf zurück, damit ich sein wunderschönes Gesicht sehen konnte, und löste meine Finger aus seinem Haar, um eine wunde Stelle auf seiner Lippe zu berühren. „Ich hab dich auch gebissen. Wenn du zu den Dunklen gehören würdest, dann wäre das jetzt der letzte Schritt der Vereinigung.“

Eine dunkle Augenbraue hob sich fragend.

„Ein Austausch von Blut.“ Ich musste über seine ungläubige Miene lächeln.

Jetzt gestattete ich ihm, mich wieder auf meine Füße zu stellen. Raphael verstaute alles wieder da, wo es hingehörte, und ich glättete gerade meinen Rock, als irgendwo in der Höhle ein hartes Geräusch erklang, das auf uns zurollte und dabei immer lauter wurde.

Jemand applaudierte.

„Verdammt!“ Raphael drehte sich um, noch während er seine Hose schloss, um mich mit seinem Körper zu schützen. Ich sandte ein stummes Gebet gen Himmel, dass wer auch immer das war, uns nicht in voller Aktion beobachtet hatte, während ich meine Bluse wieder in den Rock stopfte und mich vergewisserte, dass sie richtig saß, bevor ich einen Blick über Raphaels Schulter hinweg riskierte.

„Mon ange. Ich wusste, dass du Leidenschaft hast, aber du übertriffst meine Erwartungen. Solch ein Feuer! So viel Elan! Ich habe es ganz besonders genossen, wie sich dein Körper beim petit mort gegen Raphaels presste. Ich glaube, wir hätten ein schönes Paar abgegeben.“

Oh mein Gott, es war Dominic! Und er hatte uns beobachtet! Vor lauter Ekel überlief es mich abwechselnd heiß und kalt, während zugleich Wut in mir aufstieg. Wie konnte er es wagen, etwas so Wunderbares und Schönes zwischen Raphael und mir mit seiner schleimigen Verdorbenheit zu besudeln? Was wir taten, war privat, nur zwischen uns beiden, und auch wenn wir unsere Liebe an einem ungeeigneten Ort ausgelebt hatten, gab ihm das noch lange kein Recht, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen. Ich klopfte Raphael auf die Schulter, mehr als nur ein bisschen überrascht, dass er angesichts dieser Verletzung unserer Privatsphäre nicht vor Wut brüllte. Erst als ich mich an ihm vorbei nach vorne schob, um Dominic so richtig die Meinung zu sagen, erkannte ich, warum er so still war.

Dominic hielt eine ziemlich große Waffe auf uns gerichtet. Neben ihm stand der schweigende Milos.

„Was machst du denn hier? Du warst doch eben noch mitten in deinem Auftritt!“, stammelte ich.

„Alle guten Dinge, ma chère, haben einmal ein Ende“, sagte Dominic mit einer seiner affigen Verbeugungen, bevor er mit seiner Waffe in Raphaels Richtung wedelte. „Traurigerweise schließt das sowohl dich als auch den neugierigen Mr St. John ein.“

Ich blickte zu Raphael. Er sah aus, als ob Dominic ihn zu Tode langweilte. Gleich fühlte ich mich besser.

„Ihr werdet jetzt beide mit mir kommen, Raphael zuerst, mon ange gleich bei mir, und Milos am Schluss. So werden wir zu den Booten gehen, ja?“

„Boote?“, fragte ich. Ich versuchte, mich näher an Raphael heranzuschieben.

Er bewegte nicht einen einzigen Muskel, sondern beobachtete Dominic einfach nur mit Augen, so dunkel, dass sie fast braun aussahen.

„Möchtest du jetzt eine Bootstour machen? Ich dachte, das kommt erst später. Ich bin gerade ziemlich beschäftigt, also sollten wir das besser verschieben. Raphael und ich, wir ... äh ... waren ...“

Dominic grinste höhnisch. „Mon ange, es war offensichtlich, was du und Raphael gerade gemacht habt. Und jetzt, wenn ihr dann fertig seid ... Die Boote warten.“

Milos musterte mich kalt, drehte sich dann um und raunte Dominic etwas zu.

Ich nutzte die Gelegenheit, um Raphael einen vielsagenden Blick zuzuwerfen.

Er hob nur die Augenbrauen.

„Und? Du könntest ruhig ein bisschen helfen!“

„Ich dachte, du wolltest mir helfen“, sagte er ruhig und offensichtlich völlig unbekümmert, trotz der Tatsache, dass uns ein durchgeknallter Verrückter, der sich für einen Vampir hielt, und sein ebenso kaltblütiger Komplize mit einer Waffe bedrohten.

„Das war vorhin. Und jetzt ist jetzt. Ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn du endlich etwas unternehmen würdest.“

„Was denn, zum Beispiel?“

Ich kniff ihn in den Arm. „Uns retten!“

„Ah. Und wie?“

Ich schlug vor Empörung die Hände über dem Kopf zusammen. „Du bist doch derjenige, der die Waffe hat.“

Als sie das hörten, beendeten Milos und Dominic ihre geflüsterte Unterhaltung und sahen zu uns hin.

„Die habe ich nicht dabei“, versicherte Raphael ihnen.

Sie glaubten ihm nicht. Dominic winkte mich beiseite. Die Mündung seiner Waffe war kaum einen Meter von meiner Brust entfernt, während Milos Raphael abtastete. Nachdem sie festgestellt hatten, dass er tatsächlich unbewaffnet war, befahl mir Dominic mit einer Geste, den Weg zurück einzuschlagen, den ich vorhin gekommen war.

„Was deine Frage betrifft: Unsere Bootsfahrt muss leider abgesagt werden.“ Er griff nach mir. Ich entwischte ihm und lief zu Raphael. „Es ist eine Schande, aber stattdessen wirst du einen sehr tragischen Unfall haben und versehentlich erschossen werden.Ich werde natürlich sehr traurig sein, dass du bei dem Versuch, Raphael davon abzuhalten, dich zu erwürgen, ums Leben gekommen bist, aber was soll ich tun?“ Er zuckte mit den Schultern.

„Die Polizei wird ihren Mörder bekommen, einen toten Mörder, und ich werde den Verlust von mon ange chéri beklagen. Alles wird gut.“

„Du willst uns umbringen?“ Ich weiß nicht, wieso mich das überraschte, nachdem ich gesehen hatte, was er Tanya angetan hatte. Vielleicht waren es ja auch beide gewesen, ich würde es Milos jedenfalls durchaus zutrauen, angesichts des kranken Ausdrucks der Erregung in seinen Augen.

„Warum? Was haben wir euch denn getan?“

„Es ist so“, beantwortete Dominic meine erste Frage. „Raphael war bei seiner Untersuchung unserer Alibis für die Morde an den Frauen, mit denen Milos und ich uns vergnügt haben, etwas zu eifrig. Wir können nicht zulassen, dass er die Polizei auf unsere Angelegenheiten aufmerksam macht. Er ist schon viel zu weit gegangen. Und er hat mich fast geschnappt letzte Nacht, bevor ich die Überreste der lieben Tanya zu meiner Zufriedenheit entsorgen konnte. Es ist mir nicht gelungen, die belastenden Hinweise zu hinterlassen, wie ich es vorgehabt hatte.“

„Mein Runenstein“, sagte ich. Im Geiste sah ich noch einmal den violetten Stein in Raphaels Hand.

„Es hätte funktioniert, wenn St. John uns nicht gefolgt wäre“, sagte Milos mit kalter, gefühlloser Stimme.

„Aber... aber... warum? Warum habt ihr sie umgebracht?“

Milos und Dominic tauschten ein kurzes eiskaltes Lächeln. „Wir sind Vampire. Wir tun so etwas.“

„Ihr seid genauso wenig Vampire wie Raphael.“ Ich schnaubte verächtlich.

Milos machte eine Handbewegung in meine Richtung, die Raphael veranlasste, mir einen wertvollen Rat zu geben. „Baby, mach dich nie über einen Mann lustig, der mit einer geladenen Waffe auf dich zielt.“

Ich presste meine Lippen fest aufeinander und drängte mich noch näher an ihn. Milos wirkte leider alles andere als zurechnungsfähig. „Ich verstehe, was du meinst.“

Raphaels Hand streifte meine Hüfte, als er hinter sich griff.

„Ihr werdet jetzt mitkommen“, befahl Dominic.

Ich hasste es, herumkommandiert zu werden. „Einen Moment noch. Wenn ihr vorhabt, uns umzubringen, dann ist ja wohl das Mindeste, was ihr tun könnt, alles zuzugeben, so wie es sich für einen anständigen Krimi gehört. Ich finde, das schuldet ihr uns.“

Dominic grinste. Seine falschen Fangzähne wirkten nicht mehr annähernd so lustig, wie ich früher gedacht hatte. Die garstigen Dinger glänzten ganz gemein im matten Licht der Lampen. Raphaels Arm bewegte sich langsam an meiner Seite entlang und hielt dann inne. Ich betete, dass er eine Waffe in seiner Hand hielt. Irgendetwas Tödliches.

„Auch ich lese Krimis“, antwortet Dominic. „Wenn du erwartest, dass wir unsere Sünden gestehen, in der Hoffnung, dann auf wundersame Weise zu entkommen, wirst du enttäuscht werden.“

„Ihr habt Tanya und all die anderen Frauen ermordet.“

Milos murmelte etwas an Dominic gewandt. Der hob die Hand und warf Raphael einen kalten Blick zu. „Unser lieber Raphael kennt die Antwort auf diese Frage.“

„Ja, das tue ich“, sagte Raphael gedehnt. „Die französische Polizei hätte euch fast geschnappt, nachdem ihr diese Prostituierte in Paris getötet hattet, aber unglücklicherweise“, seine Lippen verzogen sich zu einem gequälten Lächeln, „wurde ich von dem Fall abgezogen.“

„Was? Du hast die ganze Zeit über gewusst, dass es diese beiden waren? Warum hast du denn nichts getan?“

Raphael ignorierte meine Frage, er ließ Dominic nicht aus seinen wachsamen Augen. „Jemand hat einen Laboranten bestochen, damit der die kriminaltechnischen Beweise zerstört, die nötig waren, um dich zu überführen, Milos. Ohne die Beweise konnte die französische Polizei, mit der ich damals zusammenarbeitete, keine Anklage erheben.“

„Wer bist du eigentlich?“, fragte ich ihn.

„Genug geredet!“, blaffte Dominic. „Du wirst vor mir gehen, mon ange.“

Ich konnte gar nicht fassen, dass ich Milos jemals gruselig gefunden hatte.

Dominic war bei Weitem der Gruseligere von den beiden, wie er da mit einer Waffe in der Hand in aller Seelenruhe über unseren Tod sprach.

„Bring sie gleich um“, sagte Milos, als er sich zum Gehen wandte. „Ich werde auf das Festival zurückkehren und den Inspektor beschäftigen.“

„Was?“, kreischte ich.

„Ich würde sie knebeln, bevor du sie erschießt“, fügte Milos noch über die Schulter zurück hinzu, bevor er verschwand. „Auf diese Weise wird sie sich noch mehr wehren.“

„Werd ich nicht“, fauchte ich. Dann sprang ich mit einem Satz zur Seite und schrie: „Gib's ihm, Raphael!“

Dominic blickte auf das schmale schwarze Aufnahmegerät, das Raphael in der Hand hielt.

„Oui“, sagte er und streckte die Hand aus. „Gib es mir, Raphael.“

Ich warf der Liebe meines Lebens einen enttäuschten Blick zu. „Ich dachte, du hast da ein Messer oder so was, aber bestimmt keinen Kassettenrekorder.“

„Ich trage nur selten Waffen“, erwiderte er ruhig.

Als sich Dominic ihm näherte, um sich das Gerät zu schnappen, schoss Raphaels Fuß nach vorne und traf mit voller Wucht Dominics Knie. Raphael stürzte sich auf Dominic, als der zu Boden ging, und beide Männer kämpften um die Waffe. Ich tänzelte um das strampelnde Paar herum, auf der Suche nach etwas, mit dem ich Dominic eins über den Schädel ziehen konnte. Ich hatte mich gerade für einen großen Felsbrocken entschieden, als mich eine Hand am Rock packte und nach hinten riss. Die scharfe Stahlspitze, die sich durch meine Bluse drückte, hielt mich davon ab, mich zu bewegen.

„Lass die Waffe fallen“, stieß Dominic hinter mir hervor. Seine Hand schloss sich noch fester um meinen Arm. „Sehr gut. Jetzt schieb sie mit dem Fuß zu mir rüber.“

Raphael tat wie befohlen.

Ich starrte ihn finster an. „Sogar Dominic hat ein Messer, Bob!“

„Fang jetzt nicht damit an, Frau.“

Ich schnaubte. Er zog als wortlose Aufforderung zu schweigen eine Augenbraue hoch und hob dann die Hände. „Lass sie gehen, Dominic. Sie weiß überhaupt nichts. Ich habe ihr nichts von meinen Nachforschungen erzählt, genauso wenig wie darüber, warum ich bei dir angeheuert habe.“

„Das kannst du wohl laut sagen“, murmelte ich und warf ihm einen weiteren pikierten Blick zu.

„Joy, das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um mir auf die Nerven zu gehen“, sagte Raphael, während Dominic mich losließ, um seine Waffe aufzuheben.

„Ach, wirklich?“ Ich zeigte auf Dominic. „Da steht ein Verrückter, der uns mit einer Waffe bedroht und uns erklärt, wie er uns zu töten gedenkt, und du meinst nicht, dass das der richtige Zeitpunkt zum Reden ist? Wann sollen wir uns denn dann unterhalten? Während er uns erschießt?“

„Ihr werdet diese Diskussion sofort beenden und vor mir hergehen“, befahl Dominic mit seiner herrischsten Stimme.

„Du weißt ganz genau, dass ich meine Gründe dafür hatte, dir nichts darüber zu erzählen, was ich ...“

„Richtig, du bist ein Spion.“

Seine Augen funkelten mich gefährlich an. „Ich bin kein Spion.“

„Doch, das bist du. Du bist ein Spion und du hast dich dem Markt angeschlossen, weil du wusstest, dass Dominic und Milos Mörder sind. Roxy und ich haben alles herausgefunden.“

„Ihr müsst jetzt aufhören und in einer Reihe vor mir hergehen“, verlangte Dominic jetzt deutlich lauter.

„Roxy und du, ihr habt aber nicht in allem recht.“

„Aber wir haben zum Teil recht und das heißt, du bist ein Spion.“

„Ich bin kein Spion.“

„Also, ich weiß jedenfalls, dass die Geschichte, die Dominic uns erzählt hat, nicht wahr ist. Ich glaube ganz bestimmt nicht, dass du im Gefängnis warst, weil du eine Frau vergewaltigt hast.“

„Jetzt! Wir werden jetzt losmarschieren. St. John, du gehst als Erster.“ Dominic machte einen Schritt auf mich zu und wedelte mit der Waffe in Raphaels Richtung.

„Vielleicht kannst du mir mal erklären, wieso du so darauf versessen warst, mich vor der Polizei zu beschützen, wenn du doch wusstest, dass die Geschichte erfunden war?“ Raphaels Gesichtsausdruck wirkte eindeutig verärgert.

Ich drohte ihm mit dem Finger. „Ich wollte dich doch nicht davor beschützen, du Riesenhornochse, sondern ich wollte verhindern, dass die Polizei dich verhaftet, weil du ein Spion bist und ihnen nicht sagen konntest, wer du in Wirklichkeit bist.“

„Ich bin kein Spion!“

„Ich lasse nicht zu, dass man mich ignoriert. Ihr werdet tun, was ich euch sage. Sofort!“

„Ha!“ Ich hob das Kinn für einen weiteren bösen Blick zu Raphael. „Wenn du kein Spion bist, was bist du denn dann? Du hast zugegeben, dass du die Morde untersuchst. Du bist kein Polizist, weil du kein Tscheche bist und es keine internationale Polizeibehörde gibt, die in ... verschiedenen Ländern“, mir gingen die Worte aus, als ich ihn nun anstarrte und mir das ein oder andere Licht aufging, „tätig ist. Was ist in Lyon?“

Raphaels biss die Zähne aufeinander, während sich seine Augen eine Sekunde lang schlossen.

„Ihr haltet sofort den Mund und ... Lyon?“ Dominic hörte auf zu brüllen und ging vorsichtig auf uns zu, die Augen zusammengekniffen, die Waffe nach wie vor auf Raphael gerichtete. „Lyon, mon ange, ist der Ort, wo man das Hauptquartier von Interpol findet. Wie überaus interessant diese Unterhaltung doch auf einmal für mich ist. Interpol... natürlich. Das würde so viel erklären.“

„Interpol?“, fragte ich Raphael. „Du bist bei Interpol? Wie ein richtiger Polizeibeamter?“

Er ignorierte mich und behielt Dominic im Blick.

Dominic starrte zurück. „Das Einzige, was ich nicht verstehe, ist, woher du wusstest, dass ich dich in Marseille einstellen würde. Aufgrund deines Lebenslaufs, der vermutlich gefälscht war - richtig? -, konntest du dir einer Anstellung jedenfalls nicht sicher sein.“

„Ich bin davon ausgegangen, dass in deinem Fall eine Verurteilung wegen Gewalt gegen Frauen eher eine Empfehlung als eine Abschreckung sein würde“, antwortete Raphael. Seine Augen schienen ein Loch durch Dominics Schädel bohren zu wollen. Er hatte meine Hand losgelassen, aber ich wusste, dass seine Muskeln vor Erwartung angespannt waren. Ich vermutete, dass er den Moment abpassen wollte, da Dominic nahe genug kam, um sich dann auf ihn zu stürzen. Das war jedenfalls mein Plan.

„Du kennst mich gut“, gab Dominic zu. Dann versuchte er erneut, uns mit seiner Waffe auf den Eingang zur Haupthöhle zuzutreiben. „Ihr werdet jetzt bitte tun, was ich sage, bevor ich gezwungen bin, euch in die Kniescheibe zu schießen.“

„Ha!“, schnaubte ich, wesentlich mutiger, als ich mich eigentlich fühlte, und machte mich vorsichtig auf den Weg. Raphael folgte mir. Dann aber hielt uns Dominic auf und befahl ihm, vorneweg zu gehen.

„Ich will unseren Wildfang lieber hier bei mir haben, wo sie sicher ist, ja? Mit ihr als Geisel bin ich mir sicher, dass du nicht wieder versuchst, den Helden zu spielen.“

„Wo ist denn deine Waffe?“, flüsterte ich Raphael aus einem Mundwinkel zu, als er sich an mir vorbeischob, um die Führung zu übernehmen.

„In meinem Wohnwagen“, erwiderte er genauso leise.

Ich starrte ihn vorwurfsvoll an. „Du bist ja echt ein toller Kriminalbeamter.

Kein Messer, keine Pistole. Ich wette, dafür schmeißen sie dich glatt bei Interpol raus.“

„Ich bin kein Kriminalbeamter, ich bin Verbindungsmann“, antwortete er mit einem weiteren warnenden Blick. „Und du kommst der Wahrheit näher, als du denkst.“

Ich folgte ihm. Dominic hatte mir eine Hand auf den Rücken gedreht, an der er mich nun festhielt.

„Um den hätte ich mich wirklich kümmern sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte“, brummte ich vor mich hin, als wir in die kühle Luft der Haupthöhle traten.

Dominic befahl Raphael nach rechts zu gehen, in Richtung Bootsanlegestelle.

Ich bin davon überzeugt, dass Raphael ihn entwaffnet hätte, wenn er selbst Dominics Ziel gewesen wäre, aber so hatte er recht: Solange Dominic mir das kalte Metall der Mündung in den Nacken presste, war ich eine Geisel, die Raphaels Gehorsam sicherstellte. Als wir am Eingang vorbeikamen, drang der Klang von Schritten auf dem hölzernen Weg an unsere Ohren. „Stellt euch dort hinüber, an die Wand“, zischte Dominic und schubste mich gegen Raphael. „Bewegt euch nicht vom Fleck oder ich bringe sie um.“

Er entfernte sich ein paar Schritte von uns, wobei er bemüht war, sowohl uns im Auge zu behalten als auch zu sehen, wer auf dem Weg näher kam. Die Schritte wurden immer lauter.

„Das sieht nicht gut aus“, sagte ich zu Raphael. Ich hielt ihn ganz fest an mich gedrückt und seine Umarmung schnürte mir fast den Atem ab. „Ich glaube, ich werde besser mal um Hilfe rufen.“

„Hier unten in der Höhle kann uns niemand hören, Joy.“

„Christian schon.“ Ich folgte mit dem Finger dem Verlauf seiner Augenbrauen. „Ich habe dich gerade erst gefunden, Interpol-Bob. Ich habe nicht vor, dich gleich wieder zu verlieren.“

„Die Polizei weiß, dass ich hier bin“, sagte er leise.

„Christian kann überhaupt nichts tun, um uns zu helfen.“

„Doch, das kann er. Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, aber er kann meine Gedanken hören. Wenn ich ihm sage, dass wir in Gefahr sind, wird er kommen und uns helfen.“

Raphaels Arme legten sich noch fester um mich.

„Christian könnte uns nicht einmal dann helfen, wenn er wüsste, dass wir hier sind.“

„Raphael...“

„Ich werde nicht zulassen, dass Dominic dir wehtut, Baby.“

„Du musst mir vertrauen“, sagte ich, wobei ich mit Absicht seine eigenen Worte benutzte, und lehnte mich an ihn.

Dann bog Milos um die Ecke und wedelte mit einer kleinen schwarzen Pistole herum. „Polizei. Sie sind überall. Ich habe die Tore zum Eingang verschlossen, aber sie werden nicht lange brauchen, um den Ausgang zu erreichen. Wir müssen jetzt gehen.“

Christian. Ich schloss die Augen und rief in Gedanken nach ihm, unsicher, ob ich ihn erreichen konnte. Ich weiß, dass du mir nicht antworten willst, aber wir brauchen dich. Wir stecken in furchtbaren Schwierigkeiten und Raphael hat keine Waffe.

Augenblicklich war er zur Stelle und erfüllte meinen Geist mit seiner ruhigen Präsenz. Geliebte, du klingst beunruhigt.

Ich öffnete die Augen, blickte auf Milos und Dominic und forderte Christian auf, sie mit meinen Augen zu sehen, wie sie ihre Waffen schwenkten, während sie darüber diskutierten, was wohl der beste Weg sei, uns umzubringen und zu entkommen.

Ich werde kommen, ertönte seine schöne Stimme in meinem Kopf.

„Christian ist unterwegs“, berichtete ich Raphael und ignorierte geflissentlich seinen ungläubigen Blick. „Aber ich war schon immer ein Mensch, der die Dinge am liebsten selbst in die Hand nimmt. Ich finde, wir sollten versuchen, uns aus dem Staub zu machen.“

„Das wäre aber nicht sehr klug, mon ange“, sagte Dominic direkt hinter mir.

Den kalten Lauf seiner Waffe drückte er mir direkt zwischen die Schulterblätter.

„Ach, was interessiert dich das überhaupt? Du wirst uns doch in ein paar Minuten sowieso umlegen“, fauchte ich ihn an und wackelte mit den Schultern hin und her, um die Waffe loszuwerden.

„Wir haben unsere Pläne geändert“, erklärte mir Milos im Vorbeigehen und richtete seine Waffe auf Raphael. Er zeigte mit einem Nicken auf das nächstgelegene rot-weiße Touristenboot. „Es scheint so, als ob wir euch noch lebendig brauchen. Im Augenblick jedenfalls. Steigt ein!“

Raphael verschränkte die Arme und rührte sich nicht vom Fleck.

Dominic stupste mich mit seiner Waffe an. „Du auch, mon ange.“

„Nein“, sagte ich, die Augen auf Raphael gerichtet. Wenn ich schon sterben musste, wollte ich, dass er das Letzte war, was ich sah.

Aber eigentlich wollte ich gar nicht sterben.

Dominic drückte mir die Waffe immer fester ins Genick, bis ich mich vor Schmerz krümmte. Raphaels Hände verkrampften sich auf seinen Armen und ich fürchtete schon, gleich würden seine Augen Funken sprühen, aber er bewegte sich nicht. Ich lächelte ihm zu und hoffte, dass er die Liebe und Bewunderung in meinen Augen sehen konnte.

„Steig ins Boot, Joie.“ Dominic packte meinen Arm.

Was einmal funktioniert hatte, konnte auch zweimal funktionieren, dachte ich.

Ich warf Raphael eine Kusshand zu und dann ließ ich mich einfach in die Richtung fallen, in die Dominic mich zog, sodass er das Gleichgewicht verlor.

Ihm glitt die Waffe aus der Hand und sie landete auf dem hölzernen Bootssteg. Ich trat ihm mit aller Kraft auf den Fuß und rammte ihm das Knie zwischen die Beine. Als er aufschrie und sich krümmte, schnappte ich mir die Brosche aus meiner Bluse und stach ihm damit ins Auge.

„Iih!“, quietschte ich, als ich seinen weichen, matschigen Augapfel unter meinen Fingern spürte, und zog meine Hand blitzartig weg. Dominic kreischte, als er auf dem Steg zusammenbrach. Die eine Hand hielt er sich vors Auge, die andere vor die Leistengegend. Ich wirbelte herum, um Raphael zu helfen, aber der hatte Milos bereits mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung entwaffnet, die dessen Waffe ins Wasser und Milos auf das nächste Boot befördert hatte. Sein Kopf stieß mit einem hässlichen dumpfen Aufprall gegen eine der hölzernen Sitzbänke. Danach bewegte er sich nicht mehr.

„Geht es dir gut?“, fragte Raphael, als ich zu der Stelle hinüberrannte, an der er nach Milos sah. „Wo ist die andere Waffe?“

Ich blickte über meine Schulter zurück. Dominic krümmte und wand sich immer noch am Boden.

„Die muss wohl auch im Wasser gelandet sein. Ist er tot?“

„Nein, nur bewusstlos. Komm.“ Er ergriff meine Hand und schob mich auf das nächstgelegene Boot zu. „Steig ein. Ich werde dich hier rausbringen und dann zurückkommen und die beiden holen. Schließlich können sie nirgendwohin, wenn an beiden Ausgängen die Polizei wartet.“

Ich zog die Bremse. „Nein.“

Er blickte mit gerunzelter Stirn auf mich hinunter.

„Joy, sei doch nicht so stur.

Ich weiß ja, dass du mir helfen willst. .“

„Nein, das ist es nicht. Ich werde nur so schnell seekrank. Ich hatte das auf so einem ruhigen Fluss eigentlich nicht erwartet, aber als wir kürzlich hier waren, ist genau das passiert. Ich werde zu Fuß gehen, du nimmst das Boot.“

Er seufzte, packte erneut mein Handgelenk und zog mich auf den schmalen Pfad zu, der am Fluss entlangführte. „Ich habe noch nie im Leben eine Frau getroffen, die so widerspenstig und streitlustig ist“, sagte er.

„Ja, aber gerade das liebst du doch an mir“, erwiderte ich. Ich fühlte mich auf einmal so unglaublich glücklich. Wir waren entkommen! Wir würden zusammen sein! Wir würden ein unglaublich glückliches Leben führen. Wenn ich Raphael erst mal eingetrichtert hatte, dass er nie wieder irgendetwas vor mir geheim halten durfte.

„Komm schon, sag es. Du weißt, dass du es willst.“

Er blieb lange genug stehen, um mich an seine Brust zu ziehen. „Ja, ich liebe dich, du unerträgliche Frau. Du bist dickköpfig und starrsinnig und gegen jede Art von gesundem Menschenverstand immun, aber ich liebe dich mehr, als ich je für möglich gehalten hätte, und niemand wird dich mir wegnehmen.“

Seine Lippen pressten sich auf meine. Dann jedoch vernahm ich hinter uns ein Geräusch und es stellten sich mir sämtliche Nackenhärchen auf.

„Wie rührend“, höhnte Dominic mit rauer Stimme.

Er kam auf uns zugestolpert, aus seinem Auge strömte Blut. Ich musste ihm ein oder zwei Zehen gebrochen haben, als ich ihm auf den Fuß getreten war, denn er hinkte stark. Ich vermute, der Tritt in die Kronjuwelen hatte ihm auch nicht allzu gutgetan, denn er ging vornübergebeugt wie ein alter Mann. Die Waffe, die er mit einer Hand umklammerte, machte allerdings jegliche Genugtuung angesichts seines Zustands irrelevant.

„Er muss wohl auf der Waffe gelegen haben“, wandte ich mich entschuldigend an Raphael.

„Du!“, stieß Dominic mit gefletschten Zähnen hervor. Der Wahnsinn in seinen Augen war inzwischen unübersehbar. Ich hätte mich am liebsten an Raphael geklammert, aber ich war mir natürlich dessen bewusst, dass er eine bessere Chance hatte, Dominic zu entwaffnen, wenn ich ihm ein bisschen Platz machte. Also wich ich zur Seite hin aus. Dominics Augen blitzten mich an.

„Du hast über mich gelacht, dich über mich lustig gemacht und mich verschmäht, wegen ihm ...“ Er schwenkte die Waffe auf Raphael und feuerte völlig unerwartet.

„Nein!“, schrie ich und stürzte zu Raphael, aber Dominic war trotz seines lädierten Zustandes schneller, als ich ihm zugetraut hatte. Er schlug mir mit der Waffe ins Gesicht, sodass ich rückwärts taumelte. Ich landete krachend an der Höhlenwand und lag dann ein paar Sekunden wie betäubt da, zu benommen, um irgendetwas anderes zu tun, als darauf zu warten, dass der Schmerz mein Gehirn erreichte. Als es so weit war, verschlug es mir den Atem und ich begann zu würgen, während ich versuchte, mich auf die Knie zu zwingen.

„Raphael.“

Ich wusste, dass dieses erbärmliche Wimmern aus meinem Mund kam, aber es schien genauso wenig zu mir zu gehören wie der Schleier aus Schmerzen, der mich fast blind machte. Das Einzige, was jetzt zählte, war, zu Raphael zu gelangen. Ich kroch auf Dominic zu, der über einen stillen, regungslosen Raphael gebeugt dastand, mit seiner Waffe auf dessen Brust zielte und mit schriller, wahnsinniger Stimme tobte und raste.

„Jetzt wird niemand mehr an meiner Macht zweifeln. Niemand! Sie haben über mich gelacht, so wie du über mich gelacht hast, aber jetzt wird mir endlich Gerechtigkeit widerfahren. Alle werden meine Macht fürchten und mich als den wahren Meister der Dunkelheit anerkennen. Ich werde meinen Platz unter den Großen einnehmen und auch sie werden sich vor mir verbeugen. Ich werde der Herrscher der Dunkelheit sein, endlich wird sich meine Bestimmung erfüllen. Dieser Körper eines Sterblichen wird mich nicht länger belasten. Ich werde unbesiegbar sein!“

„Ich fürchte, es gibt bloß einen Weg, wie du deinen menschlichen Körper loswerden kannst, aber da du ohnehin fest dazu entschlossen zu sein scheinst, werde ich dir den Gefallen tun.“ Christians Stimme war wie ein Schluck kühlen Wassers an einem heißen Sommertag. Er erschien zwischen den Schatten und kam langsam auf Dominic zu. Die Macht und die tödliche Gefahr, die ihn umgaben, ließen die Luft um ihn herum knistern. Seine Augen waren verändert, ihre Schwärze hatte sich noch vertieft, wenn das überhaupt möglich war, und sie gewährten einen flüchtigen Blick auf die endlosen Qualen, denen er auf ewige Zeit ausgesetzt war.

Ich nutzte die Ablenkung, um ein wenig näher an Raphael heranzukriechen, wobei ich unaufhörlich betete, dass er noch am Leben sein möge. Auf seiner linken Körperhälfte waren zahlreiche rote Flecken, die sich über seinen Bauch ausbreiteten.

„Oh mein Gott“, schluchzte ich. Ich berührte ihn vorsichtig, unsicher, was ich tun könnte, um die Blutung zu stoppen. Ich wollte nicht auf die Wunde drücken, wenn dadurch vielleicht alles nur noch schlimmer werden würde.

„Oh Gott, Raphael, bitte stirb nicht. Ich brauche dich. Bitte stirb nicht.“

Beim Klang meiner Stimme öffneten sich seine Augen. Sie waren matt und trüb vor Schmerzen und Wut, aber es waren seine wunderschönen Augen, und ich weinte noch stärker, als ich sie erblickte. Ich drückte seine Hand an meine Lippen und begann damit, jedes Gebet aufzusagen, das ich kannte.

Dominic schrie auf und wich zurück, als Christian auf ihn zukam. Mir standen die Haare zu Berge bei dem Anblick, aber ich konnte nicht wegschauen, konnte meine Augen nicht von der grauenhaften Waffe abwenden, in die sich Christian verwandelt hatte.

„Du wünschst, die Großen zu erblicken? Sieh her! Ich habe die Ewigkeit berührt. Ich wandele nur in der Dunkelheit über die Erde, niemals werde ich die wärmende Berührung der Sonne auf meiner Haut spüren, niemals eine Familie, eine Geliebte oder Freunde haben. Ich lebe in stiller Pein und wünschte, ich hätte die Kraft, dem Albtraum meiner Existenz ein Ende zu bereiten, aber es gelingt mir nicht, da ich verflucht bin, in Verdammnis und von allen gemieden zu leben, von allen lebenden Wesen verabscheut. Wünschst du immer noch, dich mir anzuschließen, kleiner Sterblicher?“

„Joy.“ Raphael versuchte sich aufzurichten. „Hilf mir hoch, Baby.“

„Beweg dich nicht“, sagte ich zu ihm. „Du machst nur die Blutung noch schlimmer. Soll ich etwas daraufpressen? Würde dir das wehtun? Oh Gott, Raphael, er hat auf dich geschossen!“

Es gelang ihm, sich in eine sitzende Position hochzudrücken, keuchend vor Anstrengung, seine schönen Augen glasig vor Schmerz. „Muss dich beschützen.“

„Nein, Liebster, das musst du nicht. Jetzt hör auf, dich zu bewegen, du machst es nur noch schlimmer! Sitz einfach still. Christian ist hier, er wird sich um Dominic kümmern.“

„Vor ihm ... muss dich ... beschützen“, stieß er nach Luft ringend hervor. Sein Gesicht war totenbleich vor Anstrengung.

Dominic kreischte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich legte Raphael meine Hände auf die Schultern, um ihn davon abzuhalten, sich zu bewegen, und blickte zu Christian hinüber, der Dominic gegen die Wand gedrängt hatte. In Christians Mund blitzten lange, scharfe Zähne auf. Er pirschte sich an sein Opfer heran wie ein Panther an ein unbedeutendes kleines Nagetier, langsam, ohne zu zögern, ohne am Ausgang der Jagd zu zweifeln.

Offenbar war sich auch Dominic sicher, denn er hob unvermittelt seine Waffe und begann auf Christian zu feuern. Der Lärm der Pistole war ohrenbetäubend, als sie in dieser großen, offenen Höhle abgefeuert wurde. Jeder einzelne Schuss wurde von den Wänden so lange zurückgeworfen, bis ich mir die Ohren zuhalten musste, um nicht zu schreien. Dann durchbrach ein schreckliches, grelles Kreischen die Echos, nur um gleich wieder neue Echos von den Wänden abprallen zu lassen. Es durchschnitt die Luft in einem einzigen langen, schier endlosen Todesschrei. Als der Lärm endlich aufhörte, öffnete ich wieder die Augen. Christian hielt Dominic gut einen halben Meter über dem Boden in die Luft. Eine Hand hatte er um dessen Hals geschlossen. Dominics Kopf hing in einem unnatürlichen Winkel herab. Mit einer einzigen knappen Bewegung schleuderte Christian Dominic durch die Luft. Er krachte gegen die Wand und glitt daran runter wie eine durchnässte Lumpenpuppe.

Ich musste würgen. Raphael versuchte erneut, sich zu bewegen, aber ich hielt ihn fest.

„Nicht bewegen, Liebster. Oh Gott, der Blutfleck wird immer größer. Wie lange dauert das denn noch, bis die Polizei endlich vom anderen Ende aus herkommt? Raphael, bitte versuch nicht, dich zu bewegen!“

Seine Hände umklammerten meine Taille, er wollte mich beiseiteschieben.

Dann fiel ein Schatten auf uns.

Ich blickte mit tränenüberströmten Wangen hoch.

„Christian, kannst du ihm helfen? Bitte, hilf ihm! Er wurde angeschossen und ich weiß nicht, was ich tun soll.“

Christian streckte die Hand nach mir aus, sein Gesicht war verschlossen und unbewegt. Ich dachte, er wollte mich nur aus dem Weg haben, damit er Raphael helfen konnte, aber nachdem er mich auf die Füße gezogen hatte, nahm er nicht wie erwartet meinen Platz ein. Er stand einfach nur da und hielt mich fest.

Raphael stieß ein Knurren aus und versuchte, sich zu bewegen. „Sie gehört mir, Dante.“

„Nein! Hör auf! Raphael, du wirst dich noch umbringen, wenn du weiter versuchst, dich zu bewegen!“ Ich kämpfte gegen Christian, aber der Arm, den er um meine Taille gelegt hatte, war wie Stahl.

Er blickte von Raphael zu mir, seine Augen waren tiefe Brunnen des Leids. Ein Finger strich über die Beule in meinem Gesicht, wo Dominic mich mit seiner Waffe getroffen hatte. Ein Blutstropfen blieb an seinem Finger hängen. Er betrachtete ihn einen Augenblick lang, dann führte er ihn an seine Lippen.

„Ich habe dem lange genug tatenlos zugesehen. Jetzt ist es zu Ende.“

Ich sah ihm in die Augen und wusste, dass er nichts tun würde, um Raphael zu helfen. Es sei denn, ich feilschte um sein Leben.

„Bitte hilf ihm“, rief ich. Meine Lippen bebten, während noch mehr Tränen über meine Wangen liefen.

Raphael stöhnte vor Schmerz, als er sich bemühte aufzustehen. Ich streckte meine Hände nach ihm aus, aber Christian ließ nicht zu, dass ich mich von der Stelle rührte. „Bitte“, bettelte ich. „Ich liebe ihn so sehr, Christian. Tu mir das nicht an! Bitte lass nicht zu, dass Raphael leidet.“

Durch ein wahres Wunder an Willenskraft schaffte es Raphael, auf die Füße zu kommen. Eine Hand hatte er in die Seite gestemmt, er keuchte und schnappte nach Luft und lehnte sich gegen die Höhlenwand wie ein Betrunkener.

„Du kannst sie nicht haben“, sagte er. Seine Stimme war tief und rau.

„Sie gehört mir.“

Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor. Ich stöhnte bei dem Anblick auf und zwang Raphael, mich anzusehen.

„Ich liebe dich“, sagte ich zu ihm. „Ich werde dich immer lieben. Nichts wird das je ändern.“

Er stieß sich von der Wand ab und kam auf uns zu, doch Christian hob einfach nur die Hand und Raphael wurde rückwärts gegen die Wand geschleudert.

„Lass ihn in Ruhe! Gott möge dich verfluchen!“ Ich drehte mich um und bearbeitete Christian mit den Fäusten.

„Das hat er doch schon, Geliebte.“

Ich wandte mich wieder zu Raphael um. Er war an der Wand zusammengesackt, der helle Stein hinter ihm war mit leuchtend roten Streifen überzogen. Sein Körper zitterte von der Anstrengung, sich aufrecht zu halten.

„Sie ... ist ... meine ... wahre Liebe“, sagte er, die Augen auf mich gerichtet.

„Nicht deine. Niemals.“

„Komm mit mir, Geliebte.“ Christians Stimme war wie Samt, der über meine Haut strich. „Ich werde ihn dich vergessen lassen. Ich werde dir alles geben, was du verlangst. Ich werde alles für dich sein.“

Raphael machte einen Schritt von der Wand weg.

Mit einem bloßen Zwinkern ließ Christian ihn durch die Höhle fliegen.

„Nein!“, schrie ich. Raphael lag zur Hälfte über einer Bank, sein Bauch und seine Brust waren blutig rot. Er stützte sich auf einen Arm, doch seine Kraft reichte nicht einmal, um den Kopf zu heben. Aus einem Schnitt an seiner Schläfe tropfte Blut. Ich schloss meine Augen. Ich ertrug es nicht, ihn so zu sehen. Dann drehte ich mich wieder zu Christian um.

„Ich werde mit dir kommen.“

„Nein, Baby.“

Ich ignorierte Raphaels leisen Ausruf und beobachtete Christians Augen, in die bei meinen Worten wieder Leben gekommen war.

„Ich werde mit dir kommen und so lange mit dir leben, wie du willst, aber zuerst musst du Raphael retten. Du musst ihn retten und ihn in Frieden gehen lassen und versprechen, ihm niemals ein Leid anzutun.“

Christians Blick richtete sich forschend auf mich.

„Du musst ihn jetzt retten und mir schwören, dass du nie wieder etwas tust, was ihn verletzen könnte. Nie wieder.“

„Baby, verlass mich nicht“, flehte Raphael mich mit heiserer Stimme an.

Ich schluchzte, während mein Herz in tausend Stücke zersprang. Meine Fingernägel gruben sich in meine Handflächen, weil ich dem Mann, den ich liebte, beim Sterben zusehen musste.

„Das würdest du für ihn tun?“, fragte Christian. „Du würdest ihn aufgeben?“

„Wenn er dafür lebt? Ja. Dafür würde ich alles tun.“

„Ich lass dich nicht gehen.“ Raphaels Worte waren nur noch ein Hauch, aber sie schnitten durch mein Herz wie ein Messer. Ich wagte nicht, ihn anzusehen. Ich konnte ihn nicht ansehen. Es gab keine andere Möglichkeit, ihn zu retten, außer mich Christian hinzugeben und mich selbst gegen Raphaels Leben einzutauschen.

Christians Augen verengten sich. „Alles, was du gesagt hast, jede Beteuerung und jeder Einwand, den du vorgebracht hast ... Du hast gesagt, dich mit mir zu vereinen würde Verdammnis für uns beide bedeuten. Würdest du für ihn die ewige Verdammnis riskieren? Würdest du dich für sein Leben verkaufen?“

„Auf der Stelle“, antwortete ich. „Er ist für mich wertvoller als mein Leben. Bitte, Christian. Hilf ihm, bevor es zu spät ist.“

Christian stand einen Augenblick lang schweigend da, dann ließ er mich los und ging zu Raphael hinüber. Als Raphael versuchte, seine Hände zu heben, hockte Christian sich neben ihn und legte eine Hand auf Raphaels Wunde.

„Er stirbt.“

Ein Stöhnen entschlüpfte meinen Lippen, frische Tränen brannten auf meinen Wangen.

„Rette ihn“, flehte ich.

Er legte für ein paar Sekunden beide Hände auf Raphaels Wunde, dann strich er mit dem Daumen über Raphaels Stirn, wobei er eine lange, blutige Spur hinterließ. Raphael zuckte, dann rutschte er von der Bank auf den Boden. Ich sah zu und ein stummer Schmerzensschrei formte sich in mir, ein Schmerz, so tief, dass er kein Ende nahm. Er war tot.

Mit ihm starb mein Herz.

„Ich fühle deinen Schmerz, Joy, aber du leidest ohne Grund. Er ist nicht tot, er ruht nur. Ich habe ihn in einen Schlaf versetzt, damit sich sein Herzschlag verlangsamt. Ich kann nicht alle seine Verletzungen heilen, aber ich habe genug getan, dass er sich mit ärztlicher Versorgung wieder erholen wird.“

Meine Erleichterung über seine Worte war so groß, dass ich auf die Knie fiel, die Arme um meine Taille geschlungen.

„Danke.“ Ich war nicht fähig, irgendetwas anderes zu sagen. Meine Augen blieben auf Raphaels bewegungslose Gestalt gerichtet.

Christian kam zu mir und hielt mir seine Hand hin. Ich sah zu ihm auf, nicht gewillt, sie zu ergreifen, aber ich wusste, dass ich meinen Teil der Abmachung einhalten musste.

„Müssen wir sofort gehen? Kann ich nicht noch ein bisschen bei ihm bleiben? Nur bis der Krankenwagen kommt?“

Christian packte mich an den Armen und stellte mich auf die Füße. Er hielt meine Hand in seiner und wischte Raphaels Blut von meinen Fingern.

„Wenn du meine Auserwählte wärst, würde ich dafür sorgen, dass du in ewiger Glückseligkeit lebst, unberührt von all den Gefühlen, die die Sterblichen quälen.“

Er blickte zu Raphael hinüber und zog dann meine Hand an seine Lippen. „Richte ihm bitte von mir aus, dass ich zum ersten Mal in einem sehr langen Leben feststellen muss, dass ich einen Menschen beneide.“

Ich starrte ihn einen Augenblick lang an, bis ich den Sinn seiner Worte in vollem Umfang begriff. Er würde mich nicht mitnehmen. Er opferte sich selbst für uns. Ich wusste, dass Christian ehrlich glaubte, dass er in diesem Augenblick jegliche Hoffnung auf Rettung aufgab. Ich versuchte, neue Tränen zurückzuhalten, und drückte meine Lippen in einem zarten Versprechen auf seine.

„Ich schwöre dir, dass ich sie finden werde. Ich werde deine wahre Auserwählte finden. Du wirst den Rest der Ewigkeit nicht einsam und allein verbringen müssen.“

Er schob mich behutsam beiseite, ein schwaches, spöttisches Lächeln auf den Lippen.

„Dieses eine Mal werde ich keine Einwände gegen die Hilfe eines Menschen erheben.“ Er blickte mich aufmerksam an, bevor er sich schließlich sehr förmlich vor mir verbeugte. „Werde glücklich, Geliebte.“

Ich wich seinem dunklen Blick nicht aus, der mit Verlangen, Resignation und Verzweiflung angefüllt war.

„Ich werde sie finden“, versprach ich, dann drehte ich mich um und rannte zu Raphael. Ich sah nicht, wie Christian wieder mit den Schatten der Höhle verschmolz, sondern hörte nur den Widerhall seiner wunderschönen Stimme.

„Ich werde dich an dein Versprechen erinnern. Auch ich wünsche mir zu erfahren, wie es ist, mehr als alles andere geliebt zu werden.“

Diese Worte erreichten mich, als ich schon bei Raphael kniete, seine Hand hielt und sein Gesicht streichelte. Seine Haut war warm, sein Puls langsam, aber gleichmäßig, und die langen braunen Wimpern ruhten friedlich auf der glatten Haut seiner Wangenknochen.

„Ich liebe dich, Bob“, flüsterte ich ihm zu.

Seine Finger schlossen sich fester um meine Hand, als endlich Stimmen vom anderen Ende der Höhle zu uns herüberschallten und nach uns riefen, um herauszufinden, ob es uns gut ging. Die Polizei war endlich da.

„Liebe dich, Baby“, murmelte er.

Hoch oben am nächtlichen Himmel malte eine wunderschöne Stimme ein Lied ins dunkle Blau, von einem tapferen Krieger und einer wunderschönen Jungfrau und von ihrer Liebe, die so stark war, dass nichts sie zu zerstören vermochte, nicht einmal der Tod.

Ich lächelte meinem Krieger zu, während ich darauf wartete, dass Hilfe kam.

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